Karli und ich

In der Hundehaltung ist wohl kaum ein Thema mehr umstritten, als die Kastration. Ich glaube, neben der Frage, welcher Rasse Karli angehört, ist das die zweite Frage, die mir unfassbar oft gestellt wird: Ist er denn auch kastriert? Und dann: Nein. Aber warum denn nicht? (Dieser Beitrag entstand in freundlicher Kooperation und enthält Werbung durch Markennennung & Verlinkung.)

Die Antwort ist eigentlich ganz simpel, aber eben auch nicht: Ich möchte meinem Hund eine Operation möglichst ersparen, denn eine Kastration ist eben auch mit Narkose und Co. verbunden. Und darüber hinaus ist sie ein Eingriff in die Natur des Hundes, in seinen Körper. Steht mir das überhaupt zu? Oder übersteigt es vielleicht meine Rolle als Hundehalter, als Frauchen? Ich bin da unsicher. Immer noch. Nach drei Jahren Karli in unserem Leben schwanke ich oft, ob es die richtige Entscheidung ist, nicht einzugreifen. Warum ist das so? Warum gibt es da keine klare Meinung? Gehen wir der Sache mal auf den Grund …

Unseren kleinen Karli bekamen wir im Alter von acht Wochen. Er stammt aus der Hobbyzucht einer Familie in Scheeßel. Die Mami Jamie, eine süße, strubbelige Terriermischung, warf insgesamt fünf Welpen. Davon vier Rüden und ein Mädchen. Diese Mischung zeigt bereits den hohen Testosterongehalt in diesem Wurf. Dazu strotzte der Hundevater Tyson mehr als deutlich vor Hormonen – ein kleiner, stolzer Chihuahua, kräftig, drahtig mit spitzen Öhrchen und scharfem Blick. Unsere erste Hundetrainerin sagte schon beim ersten Aufeinandertreffen mit Klein-Karli: „Oha, da werdet ihr viel Freude haben! Ein sehr testosterongeladenes Exemplar.“ Was genau sie meinte, wussten wir damals noch nicht. Es zeigte sich aber in den letzten drei Jahren mehr als deutlich.

Karli war von Anfang an ein sehr temperamentvoller Hund. Seine Energie hatte keine Grenzen, ihn auszupowern war schier unmöglich. Spielen, spielen, spielen … Dazu war er sehr dominant und zeigte dies an einigen Versuchen uns zu besteigen. Wir waren nicht sonderlich begeistert, wurden aber von unserer Hundetrainerin beruhigt: Es handelte sich hier erst einmal nur um „Machtkämpfe“ – Karli sah sich mit seinen damaligen 1,5 kg deutlich als Rudelführer und das wollte er uns auch demonstrieren. An dieser Stelle, liebe Neuhundehalter, macht euch nicht verrückt. Dieses Verhalten kann relativ schnell abtrainiert werden. Entsprechend hofften wir also, dass der Kelch des notgeilen Rüden vielleicht doch an uns vorbeiziehen würde. Aber die Hoffnung verging, als Karli bereits mit einigen Monaten das Beinchen hob. Ich erinnere mich noch, wie stolz wir erstmal waren: „Schau mal, er hebt sein Beinchen! Ein echter Kerl!“

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Im Urlaub auf Sylt 2015 folgte der nächste Entwicklungsschritt. Deutlich und nicht weg zu diskutieren waren da auf einmal zwei kleine Hoden. Und damit nahm die Geschichte, und die teilweise auftretende Problematik, ihren Lauf. Karli war schon immer sehr fixiert auf andere Hunde. Egal, ob Männlein oder Weiblein. Die bloße Möglichkeit einen anderen Doggy zu treffen reicht ihm völlig aus, um alles um sich herum zu vergessen. Nun ist Karli mit seinen inzwischen 5 kg nicht sonderlich schwer und man kann ihn gut halten, aber es nervt einfach. Sofern besagter, gesichteter Hund auch noch ein evtl. sogar läufiges Mädchen ist, wird es richtig hart. Karli wirft sich mit seiner ganzen Kraft in die Leine und zieht und zerrt. Das gleiche Szenario übrigens beim Fährtenfund auf der Gassirunde … Was oftmals hilft, ist eine Leinenführigkeits-Übung. So kann sich Karli wieder sammeln, konzentriert sich auf seine Übung und läßt ab von dem Willen, die Fährte weiter zu verfolgen. Ein Lichtblick für uns – mit Training kann man das wohl in den Griff bekommen. Oder?

In diesem Frühjahr scheint mir Karlis Verhalten allerdings auffälliger als die letzten Jahre. Vielleicht bemerke ich das, weil ich gerade die meiste Zeit mit ihm verbringe. Vielleicht ist es aber auch sein Alter. Karli ist mit nun drei Jahren ausgewachsen und auf dem Zenit seiner Männlichkeit. Abgesehen von den Mädels tangieren ihn auf einmal auch unkastrierte Rüden. Dann reagiert Karli aber nicht mit Öhrchen schnüffeln, Schwänzchen wedeln und Co., sondern verteilt klare Ansagen. Erstmals war ich von diesem Verhalten überfragt, warum er genau jetzt knurrte oder schnappte, ich konnte es nicht sagen. Irgendwann erkannte ich, dass es Machtkämpfe waren, die Karli für sich entscheiden wollte bzw. will. Mittlerweile erkenne ich oft schon im Vorwege eine brenzlige Situation und schaffe es dann meistens den Eklat zu vermeiden, aber eben nur meistens.

Dieses Verhalten stresst uns also aktuell ganz besonders – ein Gassigang mit Karli ist anstrengend für uns und für ihn. Die Aufmerksamkeit ist dauerhaft und ausschließlich beim Hund. Hatten wir früher Angst, dass Karli im Straßenverkehr etwas passieren könnte, kommt jetzt noch seine Unberechenbarkeit gegenüber anderen Hunden dazu. In der Regel führen wir Karli an der Leine, um alle Gefahren auszuschließen. In Auslaufzonen bin ich dauerhaft achtsam und entsprechend angespannt. Anders zu Hause: Hier ist Karli meist entspannt, ruhig und gelassen. Er liegt gern im Körbchen und ruht sich aus oder spielt und kuschelt mit uns. Sein energisches Verhalten ist also kein Dauerzustand, sondern phasenweise und natürlich gibt es auch entspannte Tage draussen mit Karli. Da läuft er super mit und ohne Leine, tollt mit anderen Doggys herum und hört auf Kommandos. In der Summe ist es aber einfach schwer überschaubar, weil wir nie genau wissen, wann die Situation auch wieder kippen kann.

Karli und ich

Und nun? Die so oft gestellt Frage ist berechtigt: Warum nicht einfach Karli kastieren lassen und dann hat die liebe Seele ihre Ruh. Und langsam frage ich mich das auch … Als wir Karli bekamen, erkundigten wir uns beim Tierarzt, was dieser von Kastration hält. Aber er winkte ab, erst einmal abwarten, nichts übers Knie brechen. Stress, die Narkose, Schmerzen und so weiter, das möchte man ja eigentlich nur, wenn es wirklich nötig sei. Ist es das jetzt vielleicht? Außerdem die Frage, wie oder ob sich unser Hund verändern wird? Wird er ruhiger oder zu ruhig? Wird er seine freche, spielerische Art verlieren? Wird sich sein Wesen ändern? Und wenn, in welche Richtung? Es sind einfach so viele Unbekannte, die mit dieser Entscheidung einhergehen. Vielleicht einen Hormonchip einsetzen und mögliche Konsequenzen ausloten? Da stellt sich mir auch die Frage: Chemie in den Hund, ist es das wert oder sogar sinnvoll?

Ich kenne Beispiele, bei denen die Kastration die beste Entscheidung für den Hund war, ihn entspannter werden ließ und zum Glück auch sein Wesen nicht negativ verändert hat. Allerdings denke ich in manchen Fällen auch, und hier bitte einmal alle Hand aufs Herz: Ist es für uns Hundehalter nicht einfach eine schöne Vorstellung und Hoffnung, dass ein Rüde ohne die besagten Eier leichter, schneller und besser erzogen werden kann? Ja, klingt verlockend. Aber auch die Entscheidung, den vermeintlich leichteren Weg zu gehen, und das eventuell auf Kosten des Hundes. Es gibt hier einfach keine klare Aussage, Meinung oder Entscheidung, kein Schwarz oder Weiß, richtig oder falsch. Der Graubereich ist das Thema und jeder Fall ist anders zu bewerten. Abschließend kann ich für Karli und uns aktuell zusammenfassen, dass wir es erst einmal mit Training versuchen. Wir lieben Karli so wie er ist und wollen ihn nicht verändern, nur erziehen. Am Schönsten wäre es natürlich, wenn es auf diesem Wege klappt, und Karli in Zukunft unkastriert und dabei dennoch entspannt durch sein Hundeleben tapsen kann.

Was habt ihr für Erfahrungen mit dem Thema? Ist euer Hund kastriert oder nicht? Und was würdet ihr mir raten? Ich bin gespannt auf euer Feedback!

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