Henry Alltagsregeln

„Eine antiautoritäre Erziehung ist das Schlimmste, was man einem Hund antun kann“, sagt Kynologe Günther Bloch. Und über „das Recht der Tiere“ philosophiert Richard David Precht. Was die beiden Meister zu vermitteln versuchen, beschäftigt mich schon lange und ich frage mich: Wie lassen sich diese Erkenntnisse im Alltag mit Hund am besten in die Tat umsetzen? Sprich, wie viele Regeln braucht (m)ein Hund zum Glücklichsein? (Dieser Beitrag enthält Werbung durch Verlinkung.)

Auch wenn es ziemlich schwer gefallen ist – als Henry mit wenigen Monaten bei uns einzog, war ich relativ konsequent mit dem kleinen Fellbündel: Sofa und Bett waren tabu (ich gebe zu: waren), es gab feste Spiel- und Ruhezeiten, Gequengel verpuffte kommentarlos, andere Hundekontakte gab es nur nach vorheriger Freigabe und mein Welpe war nicht der Mittelpunkt der Welt (zumindest habe ich ihn das glauben lassen, denn eigentlich war er es doch).

Unter anderem diese genannten Beispiele bildeten meiner Meinung nach die Grundlagen, die meinem Hund und mir heute einen Alltag mit wenig Ärger und viel Freiheiten bescheren. Wir haben zusammen unseren Code entschlüsselt, mit dem wir gemeinsam glücklich durch den Tag kommen – zumindest zu 95 % würde ich behaupten. Und das ist doch schon ganz schön viel …

„Der Hund soll verstehen, warum der Mensch die Ansagen macht – und diese Position muss sich der Mensch verdienen.“

So in etwa habe ich es mal von Herrn Bloch gelesen – und darauf basiert unsere grundsätzlichste Spielregel: Alle wesentlichen Entscheidungen werden von mir getroffen. Auch wenn das gefühlt nur noch ziemlich selten passiert, weil Henry mittlerweile relativ gut einschätzen kann, was geht. Ein Vertrauen, das zwischen uns über die Jahre gewachsen ist. Und dazu gehörte auch immer eine Portion Glück.

Zum Beispiel habe ich anfangs jede andere Hundebegegnung für ihn abgewogen, bevor ich Henry losgelassen habe – oder auch nicht. Bis jetzt ist da zum Glück noch nie ein ernsthaft schlimmer Zwischenfall passiert. Inzwischen ist unser Rüde so souverän, dass er alleine recht gut abwägen kann, ob Mann sich versteht (mit den Frauen klappt das ja eh fast immer), oder besser getrennte Wege geht.

Wenn er mal nicht weiter weiß, ist sein erster Impuls sich per Blickkontakt bei mir zu versichern. Bei Weggabelungen im Wald zum Beispiel bleibt er vor mir stehen, guckt sich um und fragt „nach rechts oder nach links“, was ich per Handzeichen beantworte (da spielt wohl auch das Dummytraining mit rein). Bewusst habe ich ihm dieses Verhalten nicht antrainiert – das ist auch entstanden, weil er sich an mir orientiert.

Deshalb ist es auch beim Tierarzt gar nicht so schlimm. Hier kann ich ihn ruhig im Wartezimmer ablegen und die Flyer am Empfang studieren. Es ist sogar schon passiert, dass er ohne mich aufgerufen wurde … Unser Alltag ist relaxt, weil Henry keine Entscheidungen alleine treffen muss (sich auf mich verlassen kann) – aber in vielen Situationen darf (weil ich mich auf ihn verlassen kann).

Henry Spielregeln

Auch wenn man manchmal komisch angeguckt wird, wenn man relativ konsequent mit einem Welpen ist, zeigt sich heute, dass der inzwischen große Kleine im Gegensatz zu manchen damals Gleichaltrigen kein Spezialhalsband braucht, nicht ständig in irgendwelche Raufereien verwickelt ist oder auf eigene Faust stöbern geht …

Ich finde, ein großer Vorteil von gut erzogenen und sozialisierten Hunden ist außerdem, dass sie von den Menschen nicht ständig angemeckert werden (sofern die Menschen ebenso gut sozialisiert sind). Das Hinterher-Gerufe und anschließende „Jetzt kommst du aber für den Rest der Runde an die Leine“ ist furchtbar. Hier trifft ein weiteres Zitat zu:

„Chef sein funktioniert nur mit den besseren Argumenten und nicht mit Zwang.“

Hunde, die keine klaren und sinnvollen Spielregeln mit auf den Weg bekommen haben, wirken oft rast- und orientierungslos. Das stört meistens sogar ihre Menschen, die empört den Hund maßregeln, wenn dieser mal wieder weggelaufen ist. Dabei gehören in vielen solcher Momente eher die Menschen zurecht gewiesen – dafür, dass sie ihrem Hund nicht genügend Verantwortung entgegen bringen, ihm mit einem artgerechten Leitfaden das glückliche und sichere Leben zu ermöglichen, auf das er ein Recht hat.

Mit Ruhe, Einfühlungsvermögen, Konsequenz und Liebe lässt sich eine tolle Partnerschaft aufbauen, die ihr Fundament in individuell festgelegten Regeln hat. Weil jeder Mensch und Vierbeiner auf persönliche Weise „tickt“ lohnt es sich, nicht aus Prinzip auf einem Trainingsweg zu beharren sondern auch aufs Bauchgefühl zu hören.

Um Bloch und Precht im tierischen Alltag zusammenzubringen, braucht es in der Mensch-Hund-Beziehung viel Respekt vor der individuellen Persönlichkeit mit all ihren Facetten und Ansprüchen, um diese mit so viel Freiheit wie möglich auszuleben – und sich auf diese Weise bestmöglich zu ergänzen!

Henry Spielregeln

P. S. Ja, er darf inzwischen aufs Sofa und ins Bett – und Leckerlis gibt es auch nur für die bloße Anwesenheit …

Eure

Stefie-Sign

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